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Mike Scholz

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Autor
Alter:
55
Mitglied seit:
29.01.2015

Über mich

Über mich
Als ich diesen Menschen näher kennenlernen durfte , erkannte ich einen liebenswerten, intelligenten, charmanten, extrem fantasievollen, humorvollen, starken aber auch sehr verletzlichen, interessanten Mann. Ist von mir mal gesagt worden. Und zum Teil stimmt es auch. Zum Teil! Ich bin Krüppel, aber ein Kämpfer Von Jörg Marschner Auf der Autobahn 4 hilft Sven Scheunig einem Unfallopfer und wird dabei selbst schwer verletzt. Aber er gibt sich nicht auf seit über 20 Jahren. Sven Scheunig in seiner Haustür in Dresden Friedrichstadt. Vor 20 Jahren rettete er ein Unfallopfer und wurde dabei selbst schwer verletzt. Foto: R. Michael Das schwarze Piratentuch, das seine Locken verdeckt, ist so etwas wie ein Markenzeichen von Sven Scheunig. Er trägt es immer, zu Hause in Dresden-Friedrichstadt, unterwegs, auch hier im Pantomimekurs. Und er fällt auf mit seinen eckigen Bewegungen, hinter dem Rollator. Den braucht er, falls er sich mal nicht auf den Beinen halten kann. Rangenommen wird er wie jeder andere. Nimm den Wagen enger ran, sagt Ralf Herzog zu Sven, und dann vorbeugen, ja, geht viel besser und jetzt das Becken, der Impuls ist immer im Becken Anderthalb Stunden geht das so jeden Montagabend. Pausenlos, mit hoher Konzentration, anstrengend für Körper und Geist für Sven Scheunig mehr als für die anderen. Er gibt sich Mühe. Gern möchte er einmal mitwirken im Programm. Ralf Herzog, Chef der Dresdner Mimenbühne, kann nachvollziehen, wie wichtig dem 42-Jährigen der Kurs ist; er ermöglicht ihm die Teilnahme kostenlos. Ein Leben gerettet War gut heute, sagt Sven und geht zu seinen Sachen, die Arme zur Seite gestreckt, die Beine nach außen gestellt, fast wie ein Matrose bei hoher See. Das Laufen fällt ihm schwer. Sein linkes Bein ist vom Oberschenkel übers Knie bis zum Unterschenkel durch eine starke Orthese gestützt. Extrem dicke Polster schützen die Knie, denn Stürze kommen immer mal wieder vor. Ich bin seit über zwanzig Jahren ein Krüppel, sagt Sven und meint es ernst. Er kokettiert nicht mit dem Begriff und er spekuliert erst recht nicht auf Mitleid. Krüppel ist eine Slangbezeichnung für Behinderte. Und behindert bin ich. Warum soll ich das nicht sagen Der Tag, der Svens Träume vernichtet, ist der 3. August 1990, ein Freitag, ein warmer Sommertag. Der junge Mann ist als Beifahrer im Trabant mit zwei Freunden unterwegs von Löbau nach Dresden. Es ist kurz vor Mitternacht. Sie haben auf der Autobahn 4 gerade die Abfahrt Bischofswerda passiert und fahren den Burkauer Berg hinauf, als sie Zeuge eines schweren Verkehrsunfalls werden. Der Verursacher flieht mit aufheulendem Motor, zurück bleibt ein demolierter Pkw. Die drei jungen Leute halten sofort an. Sven läuft in der Finsternis zurück, sieht in dem Unfallauto zwei Menschen, die Frau lebt, er kann sie retten, bringt sie am Rand in stabile Seitenlage, geht um das Auto herum, will nach dem bewegungslosen Mann hinterm Lenkrad schauen, sieht plötzlich ein grelles, schleuderndes Licht auf sich zukommen. Und dann nichts mehr. Den Isolationssumpf besiegt Vier Wochen später kommt Sven im Krankenhaus das erste Mal wieder zu sich und weiß nicht, wo er sich befindet und warum er hier ist. Erst viel später erfährt er, was am Burkauer Berg passiert ist: Ein Mercedes hatte ihn in voller Fahrt erfasst und weggeschleudert, als er einen Menschen retten wollte. Die Diagnose der Ärzte: Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades, ausgelöst durch Schädelbrüche mit Hirnquetschung und -blutung. Ich hatte ne Matschbirne, sagt Sven in seiner drastischen Art. Mühsam lernt er im Krankenhaus erste einfache Bewegungen, erste Worte und Sätze. Die Ärzte bringen ihm schonend bei, dass er für immer ein Pflegefall im Rollstuhl sein wird. Aus der Traum vom Au-pair-Jahr in den USA, vom Beruf als Musiker oder Lehrer für Musik und Deutsch. Dabei will er die Welt erobern, die sich 1990 auch für ihn gerade erst geöffnet hatte. Sven Scheunig, der gelernte Motorenschlosser mit Abitur, will das nicht wahrhaben. Er wehrt sich mit aller Energie, die ihm geblieben ist. Er besiegt den Rollstuhl und wechselt zu Gehhilfen. Für ihn sind das Krücken. Auch die besiegt er. Knapp anderthalb Jahre nach seinem Unfall läuft er ohne sie, anfangs noch unsicher, manchmal torkelnd, stürzend, sodass andere denken, er sei betrunken und ihn beschimpfen. Zugleich macht er die bittere Erfahrung, wie scheinbar gute Freunde wegbleiben, wie er nicht mehr eingeladen wird, wie es einsam wird um ihn, den Behinderten. Isolationssumpf nennt er das wenige Jahre später in seinen Krüppelmemoiren. Tage voller Termine Als Sven wieder einigermaßen fit ist, schreibt er sich als 28-Jähriger an der TU Dresden ein, studiert Germanistik, Sprachwissenschaft, dann auch Alte Geschichte und Literatur. Spätfolgen des Unfalls zwingen ihn aufzugeben ohne Abschluss. Das schmerzt. Umsonst war es nicht, sagt er, es hat meinem Allgemeinwissen sehr gut getan. Seine Krüppelmemoiren schreibt er während des Studiums noch einmal um. Einen fiktiven Mike lässt er erzählen, wie das war im August 1990 und der ersten Zeit danach. Ich will anderen in ähnlicher Lage Mut machen, sich nie aufzugeben. Die 500 Exemplare seines Buches Krüppelmemoiren sind längst vergriffen; im Moment müht sich der Dresdner um eine zweite Auflage. Es gibt Tage, da hat Sven in seinem Handyorganizer ein halbes Dutzend Termine und mehr eingetragen. Natürlich auch viele medizinische. Die Katastrophe von 1990 wirkt noch immer nach. Zudem war er vor Jahren als Liegeradfahrer in mehrere Unfälle verwickelt, immer schuldlos, zweimal schwer verletzt mit Bänderrissen und so. Um seine Beweglichkeit steht es heute schlechter als vor zehn, zwölf Jahren. So ist Sven Scheunig notgedrungen ein häufiger Gast bei Ärzten, Therapeuten und Logopäden. Auch an der Sprache muss er weiter arbeiten. Die Feinmotorik will auch nicht so wie sie soll. Schreiben kann er fast gar nicht. Nur gut, dass es Computer und Internet gibt; die Tasten zu bedienen, schafft er. So kann er gut mit Gott und aller Welt kommunizieren. Die Bitterkeit verdrängt er Nein, Sven lebt schon lange nicht mehr im Isolationssumpf. Er ist eben ein Kämpfer. Ich kann nicht nur zu Hause sitzen und warten, ob und wie das Leben auf mich zukommt. Ich will selbst aktiv sein! Darauf kommt es ihm an. Deshalb montags der Pantomimekurs, donnerstags die Theaterbrigade im Stadtteilhaus. Deshalb auch die vielen Termine mit Freunden. Er will drin sein im Leben. Und er ist viel unterwegs. Manches wäre leichter, wenn Straßenbahn und Bus schon überall behindertengerechte Haltestellen hätten. Längere Fußwege verbieten sich, sie rauben zu viel Kraft. Bleiben also Rollstuhl oder Taxi. Den Rollstuhl mag Sven nicht, den lehnt er regelrecht ab. Wenn du den nimmst, merkst du schnell, wie du abbaust, wie deine Muskeln verkümmern. Das will Sven nicht zulassen, deshalb sucht er auch öfter ein Fitnesscenter auf. Die Übungen geben ihm Sicherheit über seinen Körper, allerdings braucht er an den Geräten immer einen Helfer, und nicht immer ist einer da. Die Fahrten mit dem Taxi zu den medizinischen Terminen übernimmt meist die Kasse. Von der Stadt bekommt er außerdem Taxigutscheine, etwa im Wert von 35Euro je Monat. Das reicht natürlich nicht. Mal fährt ihn die Freundin, mal ein Freund. Und wenn gar nichts geht, muss Sven rechnen, ob er sich ein Taxi mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente leisten kann. Von der Entschädigung, die er vor Jahren erhielt, ist nicht mehr viel übrig. Manchmal nagt die Bitterkeit in ihm. Da hast du vor zwanzig Jahren geholfen, ein Leben zu retten, und nun lebst du selbst so, sinniert er. Da würde schon mal Bitterkeit aufkommen, sagt Sven, aber er wehrt sich dagegen: Ich bin zwar ein Krüppel, aber auch ein Kämpfer.

Motivation
Warum will ich schreiben? Diese Frage wird mir gestellt. Warum will ich schreiben? Diese Frage stelle ich mir selber. Warum will ich schreiben? Klingt so ähnlich wie in Shakespeare's Hamlet: "To be or not to be, that is here the question!" Also - warum? Sehr sehr deutlich kann ich mich noch an die 10. Klasse erinnern, als gerade die Generalprobe für die Abschlussprüfung in Deutsch korrigiert zurückgegeben wurde. Schüler für Schüler bekam seine Arbeit zurück, jeder mit einer mehr oder weniger beifälligen Bemerkung, oder ihm wurde gesagt, was und wo und wie er noch verbessern müsste, oder er vernahm dabei nur ein "nu ja". Schließlich hielt die Lehrerin, die zudem noch unsere Klassenlehrerin war und heimlich von den Jungen - da sie Brigitte hieß und ein Riesengebirge vor sich her trug (Wonderbras gab's damals noch keine) - Brigitte mit der großen Titte genannt wurde, nur noch eine Arbeit in der Hand. "Hat sie meine vergessen oder verloren oder sie in den Papierkorb geschmissen, weil sie so schlecht ist?", musste ich mich auf der Stelle fragen. Gleichzeitig blickte ich aber um mich - jeder hielt eine Arbeit in der Hand, die Mienen drückten tiefe Enttäuschung, die mit Erwartungsangst gepaart war, über den Was-Soll's-Ausdruck bis zur ruhigen Gelassenheit aus. Aber nirgendwo waren Nervosität, Lampenfieber, Unruhe zu entdecken. Nur ich spürte ein aufkommendes Kribbeln unter der Haut, begann meine Hose an den Pobacken aufzuscheuern, weil ich mir ihre Hinhaltetaktik nicht erklären konnte. Nach schier unendlichen Sekunden, in denen alle verstummt waren und sie nun erwartungsvoll anschauten, wollte sie meine sich immer mehr steigernde Ergebnisneugier noch keineswegs befriedigen: "Ich habe jetzt noch eine einzige Arbeit hier, und zu der muss ich ein bisschen mehr sagen als nur gut oder sehr gut oder noch verbesserungswürdig." Eine rhetorische Pause folgte. 'Sie will mich foltern', hatte ich augenblicklich den Eindruck. Denn dass es dabei um mich geht, war mir inzwischen klargeworden; auch wenn sie mich keines Blickes würdigte. 'Ist meine Arbeit so schlecht oder so gut gewesen?', schoss es mir erneut durch den Kopf. Und ich machte mich auf ein Gewitterplädoyer gefasst. "Diese Arbeit", sie hielt sie weit von sich gestreckt, damit alle sie sehen konnten, "ist verdammt kurz, fast schon zu kurz." - Ich konnte mich erinnern, dass sie nur 317 Wörter beinhaltete. - "Doch ..." - sie verharrte, schüttelte fast ungläubig den Kopf und holte tief Luft - "... alles ist anspruchsvoll formuliert, man weiß genau, was er meint. Bei ihm ..." - ihr Blick wanderte zu mir hinüber, die linke Hand folgte ihm - "... bei ihm merkt man, dass er zehn Jahre lang Deutsch gelernt hat. Klasse, Sven!" Ich konnte noch Stolz in ihren Augen erhaschen, bevor sie sich abwand, Beifallsgemurmel meiner Mitschüler schwoll auf, in der Pause - die Stunde war kurz darauf zu Ende - wurde mir beifällig auf die Schulter geklopft. Ja, in dem Moment fühlte ich mich im Überfluss gut, fühlte mich stolz auf mich selbst, fühlte mich empirisch. Solch eines Ereignisses muss man sich 13 Jahre danach ganz einfach noch erinnern. Dies war aber nicht meine erste Kollision mit dem Schreiben. Da war ich mal in der 8. Klasse, lang lang ist es her, wir steckten gerade in den Winterferien. Wie es sich gehört, herrschte draußen schmuddeliges Wetter: Die Sonne hielt es für besser, im warmen Nestchen zu bleiben; Regentropfen spielten Hascher mit vereinzelten Schneeflocken, angetrieben von einem kalten Westwind. Da übermannte es mich plötzlich. In der Schule hatte ich mich in ein Mädchen aus der Klasse verknallt; dazu saß ich hinter ihr, konnte mich also ständig von ihrem Anblick becircen lassen. Nur mit ihr etwas zu beginnen - und das als Schmuddel-Egon, der in seiner Klasse der Inbegriff der Unordentlichkeit war, der auch nicht wusste, wie ein hübsches Mädchen von sich zu überzeugen ist - durfte ich das glatt vergessen. Dafür war sie eine schon zu begehrte ... na ja, aus heutiger Sicht auch zu eingebildete Schönheit. Träumen aber, ja träumen, das war erlaubt. Denn wie sagte ein weiser Mann schon: Gedanken sind frei. Und im mir selbst Illusionen Vorgaukeln brauchte ich keine Gesellenprüfung abzulegen, da war ich als Meister vom Himmel gefallen. Ich durchsuchte also das geregelte Chaos meines Zimmers, bis ich ein noch leeres Schreibheft fand, schnappte mir dazu einen Federhalter und begab mich in die Stube, um mich an den Tisch zu setzen und meine Gedanken niederzuschreiben. Zum Glück war ich allein, meine Eltern waren arbeiten, meine Schwester belebte gerade den Kindergarten. Am Tisch überlegte ich, wie das Geschichtelchen heißen soll. "Die erste Liebe", fiel mir dann ein. Brauchte auch nicht erst auf Eingebungen warten, sie kamen prompt und mit ihnen das Bild oder die Bilder, die ich nur noch beschreiben musste. Ich schrieb also und schrieb, nur selten war kurze Zeit zwischendurch zum Überlegen vonnöten, war demzufolge auch sehr schnell fertig. Wie lange, weiß ich nicht mehr, schätze aber ein bis zwei Stunden. Zuerst zählte ich nach, wieviel Seiten ich beschrieben hatte: 18 DIN-5-Seiten. Dann las ich mir die Geschichte durch. Und war entzückt von dem, was ich von mir gegeben hatte. Vor allem, weil ich bedachte, das ganze Werk ist spontan, in einem Zug geschrieben. Wenn ich die Geschichte heute lese, stelle ich auch fest - ohne deswegen eingebildet zu sein, denn andere fanden und finden es genauso - für einen 8-Klässler war das sehr gut geschrieben, flüssig und lesbar. Ich hatte also allen Grund, zufrieden zu sein, legte nun alles weg und machte mich auf den Weg zu einem Kumpel. Im Sommer war ich dann in Jonsdorf in einem Lager für Arbeit und Erholung. Untergebracht in einer Pension arbeitete ich von Montag bis Freitag sechs Stunden am Tag im Forst, und das für Geld - Fragt mich aber bitte nicht, für wieviel! -, der Rest des Tages verging mit Sport, Spiel und guter Laune. Dort lernte ich eine Schülerin aus einer anderen Schule kennen - sah niedlich aus, das Mädel -, die sich die Geschichte, die ich natürlich bei mir hatte, durchlas, mir mit ständig anerkennenden Worte die Brust schwellen ließ und hinterher berichtete, dass sie in einem Literaturzirkel sei, von dem sie mir die Adresse gab, und bei dem ich mich mal blicken lassen sollte. Hab ich ihr auch hoch und heilig versprochen. Aber gemacht - gemacht hab ich's nie. Warum? Die Lösung ist ganz einfach. Nicht, dass ich keine Lust gehabt hätte. Nicht, dass ich Angst gehabt hatte, ihr nochmal unter die Augen zu treten, überhaupt unter die Blicke von Menschen zu treten. Davor habe ich mich noch nie gefürchtet, werde ich wohl auch nicht erst einführen. Nein, ich hatte schlicht und ergreifend keine Lust zum Schreiben. Ideen waren da, ja - ich hab mir laufend was ausgedacht, worüber man schreiben könnte. Aber wenn ich dann an die Arbeit dachte, die ich mir dadurch aufbürden würde - sowas nennt man wohl unter Brüdern und Schwestern faul. Und so kam es, wie es kommen musste, ich schrieb eine ganze Weile, die sich zur Unendlichkeit ausweiten wollte, nicht mehr. Nach der Schule machte ich mein Abitur. Wo ich in Deutsch den Eindruck hatte, als wenn die Lehrerin mich mit anderen Maßstäben messen würde als den Rest der Klasse. War ja auch nicht ganz unverständlich. Wenn ich einen Aufsatz schrieb, war sie - ich zitiere: "... ganz entzückt." Beim Rezitieren von Gedichten genoss sie es förmlich, dass ich Emotionen und Gestik und Mimik im Ausdruck mitspielen ließ. Einmal aber blieb mir ihr Gebaren unverständlich: Wir sollten einen Hausaufsatz Über ein Erlebnis schreiben. Ich fragte sie, ob ich ihn als Geschichte schreiben könne. Sie bejahte. Als sie dann aber den Aufsatz korrigiert zurückgab, musste ich feststellen, dass ich im Ausdruck zwar eine 1, im Inhalt allerdings eine 2 bekommen hatte. - Er befasste sich mit einem Tag eines Höhlenforschers, denn damals war ich in so einem Verband. - "Du hast sehr schön geschrieben, Sven, sehr bildreich. Nur die Einleitung war zu lang. Deshalb die 2." Plubs, da lag ich nun, ich armer Tor, und war so klug als wie zuvor. Normalerweise muss eine Geschichte doch einen Einleitung haben, den vielgepriesenen Anfang. Doch da - nun ja. Dann sechs Jahre später. Inzwischen hatte ich das Abitur in der Tasche nebst Facharbeiter, hatte drei Jahre als Matrose bei der Armee abgesessen - manchmal auch im Dreck abgerobbt -, war durch einen Verkehrsunfall zum Behinderten "geadelt" worden, demzufolge nun IV-Rentner, und hatte deshalb unendlich viel Zeit - Obwohl, Rentner haben niemals Zeit! Für mich stellte sich aber nun die Frage, was mache ich? Studieren? War noch nicht möglich, immerhin musste ich erstmal zurück an die Oberfläche kraxeln. Ständig weggehen? Kam allein schon finanziell gesehen nicht in Frage. Das Fernsehprogramm am Tage war zum Weggucken - am Abend manchmal auch -; ständig lesen? Ich war zu unstet, in einem fort im Bett zu liegen; jemanden besuchen gehen? Wen? Ich war isoliert, von der Gesellschaft ausgestoßen, nur noch ein Untermensch. Die Lösung dafür kam aber auch nach längerem Grübeln nicht. Dennoch kaufte ich mir eine Schreibmaschine, begann damit, Texte von Metallica, Accept und anderen zu Übersetzen. Eines Tages sprach auf der Straße ein älterer Mann mich an: "Warum schreibst du kein Buch über deinen Unfall?" Ich überlegte: 'Ja, warum eigentlich nicht?' Denn immerhin zählte er zu den außergewöhnlichen. Und schreiben fiel mir ja nicht schwer, vermeinte ich zu sagen, schließlich hatte ich das doch schon mal bewiesen. Verschob den Gedanken aber auf einen späteren Zeitpunkt. Paar Tage später. Vormittag. Ich lag noch im Bett, war aber bereits munter, döste vor mich hin. Schwebte in Träumen, in Illusionen, dachte an die Frau und an eine andere, stellte mir vor, wie es sein würde, wieder rennen und Fußball spielen zu können, ... Plötzlich war ich wieder bei dem alten Mann auf der Straße. Ich weiß nicht, worin die Überleitung bestand, ob dieser Umschwung abrupt kam, mich unvermittelt irgendeine Muse geküsst hatte. Auf jeden Fall kam mit der Erinnerung die Frage auf, wie das Buch denn heißen solle: 'Behindertenmemoiren? Nein, zu läppisch. Krüppelmemoiren? Krüppelmemoiren! Das ist es. Das klingt gut, provoziert, passt zu meiner Mentalität. Andere Optionen? Nö, mir fallen keine ein. Hab mich schon fixiert.' Ich stand umgehend auf, platzierte mich vor die Schreibmaschine und fing an, meinen Erinnerungsspeicher arbeiten zu lassen. So schrieb ich mein erstes Buch, wofür ich aber noch keinen Verlag gefunden habe, erlebte in der Zeit mehr oder weniger gut beeinflussende Erfahrungen - meine Ex-Verlobte, Literaturzirkel, Neuseeland, Japan, vor kurzem eine Freundin -, schreibe jetzt auch Kurzgeschichten aller Art, Gedichte, habe Ideen für weitere Bücher. Diesmal aber nicht das Gefühl, keine Lust zu haben, sondern ich habe gemerkt, dass mir das eingehend Spaß macht, dass es besser ist, beim Schreiben seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, als auf die Straße zu gehen und - bisweilen - Unschuldige zu malträtieren. Es war in der Schule, 10. Klasse, und wir muten dort ein Buch lesen. "Die Mutter" von Maxim Gorki. Er prägte einen Satz, der mir wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird: "Mit jedem Tag kommt man dem Grab ein Stück näher." Er stimmt, wahr und wahrhaftig. Nur bis dahin ... Was sagte Freddy Mercury, als erfuhr, dass er HIV-positiv ist: "The life is a show. And the show must go on." Und diese meinige Show will ich anderen vermitteln, sie teilhaben lassen an meinen Erlebnissen, Erfahrungen, Wünschen, Sehnsüchten. Mir wurde in den letzten drei, vier Jahren oft gesagt, ich hätte Talent zum Schreiben. Warum soll ich dies also nicht ausnutzen? Jeder Mensch ist irgendwo talentiert, ich scheinbar auf diesem Gebiet. Nicht jeder Mensch nutzt die in ihm schlummernden Talente - weil er sie nicht erkennt? Höchstwahrscheinlich. Ich aber glaube, eins erkannt zu haben. Habe mich deswegen an Sie gewandt. Und hoffe, dass es fruchten wird, es für die anderen und für mich von Nutzen ist.

Ausbildung
EU-Rentner, Mot.-Schlosser

Bisherige Projekte
"Krüppelmemoiren", "Ent...!", "Die Vision" u. v. m.

Aktuelle Projekte
"Arschgeigeen lassen grüßen!" auch, wie der Deutsche "hilft"

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