Birte Pröttel: Hau ab! Flüchtlingskind!

Langsam gibt es keine Frauen und Männer mehr, die von ihren Schicksalen als Flüchtlingskinder erzählen können. Und doch sollte diese Facette unserer deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit geraten. Und angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen aus dem nahen und fernen Osten, die in Deutschland Hilfe suchen, ist es an der Zeit, sich an die eigene Geschichte von Flucht und Vertreibung zu erinnern.
Meine Geschichten sind Berichte von einer fast unbeschwerten, glücklichen Kindheit mitten in Schutt und Asche, Bomben, Hunger, Internierungslager und der Armut und Not der Erwachsenen. Wenn Papa Milch aufs Brot strich und sagte: „Das ist jetzt unsere Butter.“ dann glaubte ich das, ich kannte ja keine Butter.
Und wenn wir Geschenkpapier und Geschenkbänder sorgfältig bügelten, dachte ich, das machen alle.
Und wenn meine Oma sagte: „Das ist wie im Frieden!“ dachte ich, sie erfindet eine Geschichte vom Schlaraffenland kombiniert mit dem Himmel.
Es ist auch eine Geschichte der Scham, Flüchtling, Habenichts zu sein. Ich erzähle die Geschichte der Flucht, wie ich sie mit meinen Kinderaugen als abenteuerlich und spannend erlebt habe. Die Angst der Erwachsenen hat mich nicht berührt, ich fühlte mich beschützt von Mutter und Großmutter. Ich erzähle die Zeit bei den Verwandten in Dänemark.
Ich erzähle die spannende Zeit, die wir im Internierungs- und Flüchtlingslager verbrachten.
Ich erzähle vom kleinen Schwarzwalddorf, wo wir unendlich gedemütigt wurden. Ich erzähle, wie ich bisher fröhlich und arglos durchs Leben gehüpft bin und wie ich jetzt hier mit der Wirklichkeit konfrontiert werde.
Und ich erzähle, wie ich die Schmach, Flüchtlingskind zu sein, überwunden habe. Es geht um die Gefühle des Flüchtlingskindes, Außenseiter, Fremde zu sein.
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Es geht um die Geschichte eines kleinen Mädchens, das in den letzten Kriegswochen mit seiner Mutter und drei Geschwistern aus Pommern flieht. Sie landen in Dänemark. Dort verbringt das Kind zwei Jahre in einem Flüchtlingslager, um dann in die „heile Welt“ eines verschlafenen, vom Krieg verschonten Schwarzwalddorfs zu stranden.
Es geht um die Gefühle des Flüchtlingskindes, Außenseiter, Fremde zu sein. Das Kind muss die Ablehnung, den Hass, der ihm entgegen schlägt, verarbeiten und sich einen Platz in der Gemeinschaft erobern.
Es geht um die Mutter, die im Januar 45 ihr viertes Kind bekommt, sich dann mit vier kleinen Kindern bis nach Dänemark durchschlägt. Sie wandelt sich von der behüteten höheren Tochter in eine tatkräftige, selbstständige Frau. Sie hält die Familie ohne den Vater über Wasser und fällt, als die Notzeiten vorbei sind, wieder in die Rolle des Hausmütterchens zurück.
Es geht um die Großmutter, eine dominante Frau. Sie folgt mit dem Großvater zusammen der Tochter ins Internierungslager. Es geht um den Vater, der bemüht ist, seinen Platz im Familienverband zu finden. Als
Dieses Buch ist wichtig, damit dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht in Vergessenheit gerät und dass man mit den Menschen, die jetzt in Deutschland Hilfe und Unterstützung suchen, anständig und itfühlend umgeht. Man soll nie vergessen, dass niemand freiwillig die Heimat, Haus und Hof verlässt.
Das Buch soll gegen das Vergessen kämpfen und die Deutschen zu weiterer Hilfsbereitschaft motivieren. 12 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten wurden nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen und integriert.
Es würde nichts schaden, wenn diese Geschichte im Sozialkundeunterricht zum Lernstoff zählen könnte.

Über Birte Pröttel

Birte Pröttel
Geboren in Stettin,Flucht nach Dänemark, aufgewachsen in Süddeutschland. Abitur in Offenburg, anschließende Ausbildung zur Redakteurin. 1961 Hochzeit mit Dr. Dieter Pröttel, drei Söhne. Bis zur Geburt des ersten Kindes Redakteurin bei „Burda Moden“. Anschließend freie Autorin mit zahlreichen Veröffentlichungen.