Klaus Auerswald: Vom Stones-Club bis zur Weinbergskirche

Meine Jugend in Dresden war geprägt von Musik. Und diese war in den 60ern vor allem die Beat-Musik. Schnell fand ich in jenen Jahren Gleichgesinnte, denn diese fantastischen Klänge der neuen und ungewohnten, elektronischen Musik breiteten sich trotz „Eisernes Vorhangs“ auch über die ganze DDR aus, wie ein Lauffeuer. Wir waren Stones-Fans. Überall entstanden neue Bands, Combos und Beatgruppen und sie spielten zur Verzweiflung der Behörden die Songs ihrer westlichen Vorbilder, diese oft in bestechender Originalität. In diese Entwicklung passte meine Idee, einen Rolling-Stones-Fan-Club zu gründen, der dann in Dresden-Leutewitz sogar ein zuhause bekam. Mit Genehmigung der Behörden erschlichen und erwarben wir, unter Vorspiegelungen falscher Tatsachen, eine alte Holzhütte, die wir tatkräftig zum Club ausbauen konnten. Die Stasi jedoch fackelte nicht lange, sondern unternahm alles, um dem Beat-Spuk und dem Stones-Club ein Ende zu setzen. Langhaarige wurden einkassiert, die Haare zwangsbeschnitten, Hausdurchsuchungen fanden statt, Spitzel rekrutiert und in unseren Club eingeschleust usw. Doch das Monster „Beat“ verstummte nicht wieder. Allerdings recht bald unser Stones-Club. Er wurde geschlossen! Fast zwei Jahre hatten wir durchgehalten.
Inzwischen war ich zur „Fahne“ eingezogen worden und betrieb dort meine Beat-Kultur weiter, in Uniform und mit kurzen Haaren. Meine Sympathie galt weiterhin der Beatmusik und nicht der Marschmusik. Also geriet ich schnell in politischen Konflikt zu meinen Vorgesetzten, denn die Beat-Welle hatte eine weitere Dimension entwickelt, eine politische. Die Konfrontation mit der Stasi, schon im zivilen Leben, hatte uns zu Systemkritikern gemacht. Und dies verhehlte ich auch nicht bei der „Fahne“. Erst Recht nicht, als der Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR stattfand und wir jeden Tag damit rechnen mussten, ebenfalls dort einmarschieren zu müssen. Ich hielt meine Klappe nicht, bezeichnete den Einmarsch als Aggression und wurde verhaftet. 20 Monate Militärhaft in Schwedt war der „Erfolg“. Eine ausführliche Darstellung meiner Haftzeit im Militärgefängnis ist nicht Gegenstand dieses Buches, da es darüber schon eine vollständige Veröffentlichung von mir gibt, mit dem Titel „sonst kommst du nach Schwedt“. Ich habe hier nur ein paar Passagen eingefügt. Jedoch erzähle ich relativ ausführlich von der verhängnisvollen Stasi-Zeit auf der Bautzener Straße, in der ich unter anderem trübe Erinnerungen aus meiner Schulzeit reflektiere.
Nach meiner Entlassung war vom Stones-Club nichts mehr übrig. Aber viele Fans waren noch da und auch neue, so dass weitere Betätigungsfelder auf uns warteten, um uns dem Unrechtsstatt DDR zu widersetzen. Man hatte mich im Knast nicht gebrochen. Zusammen mit Pfarrer Frieder B. engagierten wir uns in der Weinbergskirche und erreichten mit modernen Jugendgottesdiensten wieder eine große Schar von Jugendlichen. Sie kamen aus allen Teilen des Landes. Natürlich wurde dieses antisozialistische Treiben von der Stasi sofort wieder in „Bearbeitung“ genommen.
In der hier vorliegenden Beschreibung meiner Jugendjahre nehme ich mit Freude, aber auch mit Trauer immer wieder die Gelegenheit war, Spitzel, Verräter, IM zu enttarnen, was mir durch meine umfangreiche Stasiakte möglich wurde. IM gab es vor meiner Verhaftung und auch danach wieder, in ausreichender Zahl. Manch einer der Denunzianten wird sich hier wiederfinden und vielleicht schämen. Hoffen wir es!

Über Klaus Auerswald

Klaus Auerswald wurde 1947 in Dresden geboren. Seit 1973 wohnhaft in Leipzig, verheiratet, zwei Söhne. Erlernter Beruf Elektromonteur. NVA-Grundwehrdienst von 1967 bis 1970 mit 20-monatiger Inhaftierung wegen angeblicher „Staatsfeindlicher Hetze“. Später Hochschulstudium in Leipzig und Dresden zum Dipl.-Ing. für Informationstechnik. Literarische Betätigung seit 1982 mit gesellschaftskritischen Themen. In der DDR gab es damit keine Veröffentlichungen. Nach der Wende wurden seine DDR-systemkritischen Bücher: „Sonst kommst du nach Schwedt“ und „Die finsteren Jahre der Familie D.“ im „Greifenverlag Rudolstadt“ (2010 und 2011) und im Verlag „Der neue Morgen“ (2012 und 2013) veröffentlicht, in denen er als ehemaliger Militärstrafgefangener und Zeitzeuge der DDR-Unrechtsjustiz autobiografisch berichtet.