Heidi Prohl: Weggehen

Mit dem Fall der Mauer arbeitslos geworden, beschließt eine Familie mit ihren drei Kindern ihr Glück in Frankreich zu suchen und sich dort ein neues Leben aufzubauen. Sie kaufen ein Stück Land, zwischen Fluss und Wald gelegen, auf dem ein alter, baufälliger Ziegenstall steht. Bauen wollen sie, einen Garten anlegen, Ziegen halten und vom Käseverkauf leben. Doch dann entwickelt sich alles anders, als es gedacht war.

Die Autorin findet sich nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Mann mittellos mit ihren drei Kindern auf der Wiese wieder. Mit dem gesamten Geld, dem Auto und allen nützlichen Werkzeugen hat er das Weite gesucht. Er wird nicht mehr zurückkommen. Da sie niemanden weiß, der sie mit den Kindern aufnehmen würde, beginnt sie den vorhandenen Ziegenstall auszubauen.

Die vergangenen Erlebnisse und die veränderte Situation, in der sie sich findet, lassen sie Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Bedeutung von Gerechtigkeit, Liebe, Haben und Sein neu überdenken. Plötzlich erkennt sie, dass erst ihr plötzlicher Fall in die völlige Mittellosigkeit, ihre ureigenen Kräfte, ihre Kreativität und verborgene Fähigkeiten hervorgerufen hat.

Auf 15 m2 wird sie die nächsten Jahre ohne Strom und Wasseranschluss mit ihrem jüngsten Kind verbringen, einen Garten anlegen und lernen in und mit der Natur zu leben. Sie waschen sich im nahen Fluss, kochen auf offenem Feuer und schlafen während des Sommers unter freiem Himmel. Überraschend erfährt sie, dass dieses Leben sie rundum glücklich macht.

Das naturverbundene Leben verändert ihr Denken und Fühlen. Aus dem realistischen Sozialismus kommend und einem materiell abgesicherten Leben in der Stadt, lernt sie das Leben neu und gibt ihm andere Wertigkeiten. Sie findet zu sich selbst, muss sich aber auch mit ihren Ängsten auseinandersetzen, um sich letztlich davon befreien zu können.

Bisher Verschüttetes und Verdrängtes tritt an die Oberfläche. Die fehlende Ablenkung durch Medien und die einsamen Abende lassen längst vergessene Erinnerungen zu. Langsam beginnt sie zu verstehen, dass sie nicht zufällig an diesen Ort gekommen ist. Er ist wie gemacht für ihre eigene Heilung. Ihre Hütte wird zu einer zweiten Gebärmutter für sie und ein neues Sein. Das schüttere Bauwerk erweist sich als geeignet, ihre in der Kindheit erlittenen Traumata durch die kriegsgeschädigten Eltern zu heilen.

Sie versteht, niemandes Schicksal existiert unabhängig, wir alle sind eingebettet in die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge und in das Geschehen der Zeit. Die Vergangenheit wirkt durch uns hindurch, mit der Gegenwart sind wir verwoben. Unsere Verbundenheit macht sich dort geltend, wo wir Einfluss auf das Leben nehmen können, in der Gegenwart, die wiederum unsere Zukunft bestimmt. Und so finden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen.



Über Heidi Prohl

Ich bin Auswandernde, Aussteigerin, Mutter und Großmutter, ausgebildete Grafikerin und Malerin, Gärtnerin und Freiheitsliebende, eine Suchende und Findende, immer auf dem Weg, immer in Wandlung begriffen.

In den Nachkriegsjahren lief ich an der Hand meiner Großmutter durch die Ruinen Berlins, lernte und arbeitete später unter sozialistischen Verhältnissen in der DDR als Grafikerin und zog nach dem Fall der Mauer mit meinen Kindern nach Südfrankreich in den Wald.

Die Erlebnisse meiner Kindheit spiegeln sich in den Ereignissen meines Lebens wieder und darüber schreibe ich.