Martin Auer: Das Kloster der Erleuchteten oder Kleines Handbuch der anarchistischen Mystik

Ich weiß nicht mehr, war es in einem Tankstellencafé bei Bruck an der Mur, das um zwei Uhr Nachts noch offen hat, irgendwann gegen Ende des 20. Jahrhunderts, oder war es ein paar Jahrhunderte später in der Cafeteria eines vergessenen Raumhafens im Sonnensystem von Beta Centauris – da saßen vier Männer um einen Tisch herum, der aus Aluminium und Plastik war, vor sich leere Gläser, die gelegentlich gefüllt wurden, und volle Aschenbecher, die gelegentlich geleert wurden, und warteten auf eine Gelegenheit.
Sie warteten auf einen Job oder auf einen Auftrag, auf irgend etwas, das sie wieder wegbringen würde aus dem toten Winkel, in dem sie gestrandet waren. Und während sie warteten, erzählten sie sich, sie hatten ja sonst nichts zu tun, endlose Geschichten. Sie hießen vielleicht Kurzbein und Wladimir und Popol der Alte, und der Vierte wird wohl auch einen Namen gehabt haben, und was sie sich erzählten, waren Geschichten von etwas, das sie alle einmal gesucht hatten oder suchen wollten oder zu suchen sich vorgenommen hatten, damals, als sie noch Dinge vorhatten.
Das, wovon sie sich erzählten, war ein Kloster, von dem es hieß, dass man dort die Erleuchtung oder die Erlösung oder etwas Derartiges erlangen konnte. Sie wussten nicht, ob es das Kloster jemals gegeben hatte oder geben würde, oder ob es nur eine Legende war, ein Gerücht aus der Zukunft, entstellt und verdorben von vielen Mündern. Alles was sie hatten, waren unbeglaubigten Geschichten, Apokryphen zu einem nicht existierenden Kanon.

Über Martin Auer

Martin Auer wurde 1951 in Wien geboren. Er hat die Universität besucht und dort ein Jahr lang das Studium von Germanistik und Geschichte und dann ein weiteres Jahr das Dolmetsch-Studium geschwänzt. Stattdessen hat er Theater gespielt. War sieben Jahre lang Schauspieler, Dramaturg und Musiker am „Theater im Künstlerhaus“. Hat dann eine Band gegründet. Ist als Liedermacher aufgetreten. Hat Gitarreunterricht gegeben. Die Weltrevolution vorbereitet (gratis). Als Texter für Werbung und Public Relations Übertriebenes, Unwahres und Einseitiges verbreitet (für Geld). Für Zeitungen gearbeitet. Sich zum Zauberkünstler ausgebildet. Ist bei Betriebsfesten und Kindergeburtstagen aufgetreten. Hat irgendwann einmal auch ein Kinderbuch geschrieben. Das 1986 veröffentlicht wurde.
Seither betrachtet er sich als Schriftsteller und hat aus diesem Grund noch über vierzig weitere Bücher geschrieben, davon ca. zwei Drittel für Kinder.