Gerd Schuster: Geisterschiff

Jim Cunningham könnte im Londoner Oberhaus sitzen und Sherry schlürfen, aber er pfeift nach Familienkrach – er hat sich geweigert, Volkswirtschaft zu studieren und die Güter des Clans zu verwalten - auf seinen Erb-Titel »Earl of Troon« und geht lieber dem Beruf eines maritimen Versicherungsermittlers für Lloyds nach. Weil er – unterstützt von ein paar parapsychologischen Eingebungen und der rajasthanischen Prinzessin Laxmi Singh, sich auf »unlösbare« Fälle spezialisiert hat, wird er mit der Suche nach der »Palermo Express« betraut. Das siebt- oder achttgrößte Containerschiff der Welt, ein turmhoher, über 300 m langer und fünfzig Meter breiter Riese mit 100.000 BRT und einem Gebirge von 9.000 der Blechkisten, ist bei seiner zweiten Reise in der Nähe des Kaps der Guten Hoffnung verschwunden – spurlos.

Nachdem Jim in dem fraglichen Seegebiet den Fischschwanz einer offenbar sehr alten, aber mit hypermodernem Kunststoff imprägnierten Galionsnixe aus dem Meer gezogen hat, erfährt er, dass die Frau des Kapitäns während des Untergangs des Superschiffes mit ihrem Mann videotelefoniert hat. Die Dame vertraut dem Fahnder auf der Kanalinsel Alderney an, dass ihr Mann kurz vor dem Sinken den »Fliegenden Holländer« gesehen hat. Um den Ruf ihres toten Gatten nicht zu gefährden, hat sie das für sich behalten.

Cunningham, dessen skrupelloser, aber meist unterlegener Gegenspieler Haemish Hogg ihm immer dicht auf den Fersen ist, findet diese Indizien wenig hilfreich. Aus purer Ratlosigkeit studiert er in der Bibliothek des British Museum die Belege für die Existenz von Geisterschiffen. Er erfährt von der Kapitänsgattin, dass der Leitende Ingenieur der »Palermo Express«, ein Inder, offenbar überlebt und in ihrer Londoner Wohnung auf den Anrufbeantworter gesprochen hat.

Also fährt Jim mit Laxmi Singh, die Kriminalistik und Biochemie studiert hat, nach Trivandrum im südindischen Bundesstaat Kerala, wo der Mann wohnt.

Dort geraten sie in einem lokalen Kleinkrieg zwischen die Fronten: Dem Kampf einer blutrünstigen hinduistischen Sekte, die den Fliegenden Holländer als Schiff der Todesgöttin Durga (auch Kali genannt) verehrt gegen eine Gruppierung der Fischer von Trivandrum und Vizhinjam. Letztere akzeptiert das Schiff, das sie bereits seit etwa 1700 beobachtet, als todbringendes Gespensterschiff, glaubt aber nicht daran, dass Durga etwas mit ihm zu tun hat.

Der indische Ingenieur und Laxmi werden von der Sekte entführt, und schließlich geht ihr auch JC, der mit den Fischern rausgefahren ist und das Geisterschiff gesehen (und fotografiert) hat, ins Netz. Alle drei werden von dem Oberguru der Sekte zum Tode verurteilt und sollen geopfert werden. Aber die andere Seite rettet sie.

Vom Guru der Fischer erfährt JC, dass das Schiff, dessen fortgeschrittenen Zerfall die Fotos eindrucksvoll dokumentieren und das offenbar als Tarnung eines »außerirdischen Innenlebens« dient – in einer Bucht auf Madagaskar zu finden sei. Der heilige Mann warnt JC eindringlich, zu fliehen, wenn das Schiff in seine Nähe komme.

Wie am Schluss eines Buches üblich, werden auch hier alle noch verbliebenen Rätsel aufgelöst. Der fliegende Windjammer samt Innenleben wird zerstört. Jim, wie stets Gentleman alter Schule, rettet seinem Widersacher Hogg, dessen Speckschwarte die Sonne fast gar geröstet und den wehrhafte Eingeborene mit Ängsten gemartert und mit Pfeilen gespickt haben, zu guter Letzt noch das Leben.

Über Gerd Schuster

Meinen ersten Roman schrieb ich mit vierzehn. Ohne einen Gedanken daran zu vergeuden, was mich dazu trieb, Wörter aneinander zu reihen, ging ich jugendfrisch ans Werk. In den großen Ferien kochte ich mir abends ein Kännchen Kaffee, stellte den Wecker auf drei Uhr, stand auf, setzte mich an den Schreibtisch und füllte, kalten Kaffee schlürfend, Ringbuchblatt auf Ringbuchblatt.
Ich schaffte es, das Werk zu beenden. Aber »richtig« zu schreiben lernte ich erst nach Abitur und Examen (1972) während jeweils etwa fünfjähriger Gastspiele bei der Washington Post in London, der Nachrichtenagentur Reuter in Bonn und dem Umweltmagazin »natur« in München. 1989 ging ich zum »Stern«. 1995, nach 35 Jahren Abstinenz, begann ich Roman Nummer zwei, »Der Säulenheilige«, und arbeitete an ihm bis 2005. »Geisterschiff« ist Roman Nummer drei.
Schreiben war Stress, investigatives Recherchieren dagegen Lust. Fakten auszubuddeln, die die Atom- oder Tabak-Industrie vertuschen wollten, war mir alle Mühe wert.