Harke de Roos: Der andere Beethoven

Das Buch taucht unvermittelt in die Mitte des Lebens Beethovens ein. Es erzählt von der Zusammenarbeit und vom nachfolgenden Konflikt zwischen dem ertaubenden Komponist und dem geschäftstüchtigen Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel. Im Fokus steht Beethovens Stellung in der Gesellschaft der 1810er Jahre. Verehrung und Ausbeutung seines Genies halten sich sich die Waage, nicht nur in Wien, sondern auch in London. Dem Komponisten, dessen Urheberrechte mit Füßen getreten werden, entgleitet immer mehr die Kontrolle über seine Werke. Viele werden geraubt, die schönsten verkannt, manche verstümmelt und allesamt verhunzt. Die Erscheinung von Mälzels Metronom 1817 ergreift er als wilkommene Gelegenheit, verrätselte und somit stark kodierte Tempovorschriften zu veröffentlichen, wodurch jede korrekte Aufführung seiner Kompositionen von vornherein blockiert wird.
Die völlig gleichgültige Reaktion der Musikwelt bestätigt Beethoven in seiner Vermutung, dass das Metronom nicht den geringsten Einfluss haben wird auf die musikalischen Unsitten seiner Interpreten. Mälzels Metronom zeigt einen tiefen Riss zwischen Beethoven und den ausführenden Musikern auf, der auf einen größeren, womöglich gesellschaftlichen Konflikt hindeutet.
Zur Ermittlung dieses Konflikts wird die Lebensuhr des Komponisten im Buch zurückgedreht und fängt jetzt mit sensibilisiertem Wachsinn von vorne an. Dadurch sehen wir, dass die volle Anerkennung und gnadenlose Ausbeutung des musikalischen Genies zum festen Programm gehört und bereits in der frühen Kindheit angelegt wurde. Eine ebenso inspirierende wie störende Wirkung auf die Entwicklung Beethovens ging von Mozarts spektakulärer Laufbahn aus, die nicht nur bei den eigenen Eltern falsche Ambitionen weckte. Für die übermächtige, aber durch die Französische Revolution stark bedrängte Adelskaste, war der respektlose Untertan aus Salzburg schon seit 1786 zum persona non grata geworden, doch auf dessen geniale Musik wollte niemand verzichten. Erst die Entdeckung des Genies Beethovens schuf die Voraussetzung, Mozart ins Jenseits zu befördern, ohne bleibenden Schaden für die Kulturnation Österreich anzurichten.
Nach Mozarts subalterner Hinrichtung wurde der junge Beethoven von Bonn nach Wien geholt mit dem unverhohlenen Auftrag, den unersetzlichen zu ersetzen, was zu einem übermenschlichen Erwartungs- und Leistungsdruck führte. Als es Beethoven dazu noch klar wurde, dass seine Gönner Mozarts Tod verschuldet haben könnten, bekam er selbst Schuldgefühle, die den ersten Gehörsturz verursachten. Der ganze Stress kulminierte in der Heiligenstädter Selbstmordkrise von Oktober 1802, die er wie durch ein Wunder überlebte und von der in der “Eroica” eindeutig die Rede ist, vorausgesetzt, sie erklingt in den originalen Tempi. Beethoven komponierte seine Dritte Symphonie einzig und allein als Ehrerweis für Wolfgang Amadeus Mozart, seinen “besseren Teil”, seine "buona parte". Die ursprüngliche Widmung an Napoleon war gedacht als Tarnung.
Zum zweiten Mal im Buch wird das Jahr 1817 erreicht und es folgt nun das letzte Lebensjahrzehnt, in dem Beethoven, wie der Atomphysiker Sacharow in Moskau, inzwischen zum unerschrockenen Gegner des totalitären Polizeistaates verwandelt war. Das unsichtbare Duel zwischen Metternich und seinem prominenten Kritiker wird zum Hauptthema vom letzten Teil des Buches, dessen Ausgang, wie bei Krimis üblich, in der Inhaltsbeschreibung nicht verraten werden darf.

Über Harke de Roos

Geboren 1942, studierte er in Amsterdam Soloklavier und Dirigieren. Weiterbildung bei Franco Ferrara, Herbert von Karajan und Hans Swarowsky. Langjähriger Solorepetitor in Amsterdam, Köln und in Berlin (Deutsche Oper). In den 1990er Jahren GMD in Eisenach. Forschung nach den historischen Temporelationen. 2010 erste Aufnahme einer Beethovensymphonie (Wiener Symphoniker, Gramola/Vienna). Bücher: "Beetgenomen door Beethoven", ("Mozart und seine Kaiser" und "Das Wunder Mozart").